Die Diagnose von Alkoholabhängigkeit basiert auf bestimmten Merkmalen, die im ICD-10 und DSM-5 festgelegt sind. Um als alkoholabhängig eingestuft zu werden, müssen in einem Zeitraum von einem Jahr in mindestens drei von sechs definierten Kriterienbereichen signifikante und wiederholte Merkmale festgestellt werden.
Sollten die Kriterien für die Hypothese A1 („Alkoholabhängigkeit“) nicht erfüllt sein, können sie dennoch für die Hypothese A2 („Alkoholmissbrauch und mangelnde Fähigkeit zur Konsumkontrolle“) herangezogen werden.
Auf dieser Website finden Sie einen Überblick über die Diagnosekriterien. Beachten Sie, dass die Feststellung und Bewertung von Symptomen, die zur Diagnose einer Alkoholabhängigkeit führen, ein komplexer Prozess ist, der fundierte Ausbildung und Erfahrung erfordert. Relevant ist eine Diagnose nur, wenn sie von qualifiziertem Fachpersonal gestellt wird. Auch im Rahmen einer selbstständigen Aufarbeitung ist es ratsam, die Kriterien durch einen ausgebildeten Therapeuten überprüfen zu lassen. Bei der MPU-Beratung unterstütze ich Sie dabei, die Diagnosekriterien zu verstehen und herauszufinden, welche auf Sie zutreffen.
Kriterienbereiche:
Trinkzwang und fehlgeschlagene Kontrollversuche
Trinkzwang beschreibt den starken Wunsch oder unkontrollierbaren Drang, Alkohol zu konsumieren. Betroffene haben oft das Gefühl, dass ihre Gedanken ständig um Alkohol kreisen.
Sie sprechen oft darüber, planen heimlich ihren Konsum oder trinken sogar trotz eines schlechten Gewissens weiter. Ein weiteres Anzeichen kann sein, dass die betroffene Person versucht, den offensichtlichen Konsum oder seine Folgen zu verharmlosen, oft mit Argumenten, die objektiv nicht nachvollziehbar sind.
Ein weiteres wichtiges Warnsignal sind gescheiterte Versuche, den Alkoholkonsum zu reduzieren oder ganz einzustellen. Diese fehlgeschlagenen Kontrollversuche äußern sich zum Beispiel darin, dass der Betroffene wiederholt Hilfsangebote wie Suchthilfe-Einrichtungen, Selbsthilfegruppen oder Nachsorgeprogramme in Anspruch nimmt – oder dies zumindest vorhat, da er seinen Drang nach Alkohol als unkontrollierbar empfindet.
Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Alkoholkonsums
Ein weiterer Kriterien-Bereich für die Diagnose von Alkoholabhängigkeit ist die verminderte Fähigkeit, seinen Alkohol-Konsum zu kontrollieren. Eine solche verminderte Kontrollfähigkeit zeigt sich häufig daran, dass Betroffene regelmäßig mehr Alkohol trinken, als sie ursprünglich geplant hatten, und dies über einen längeren Zeitraum hinweg. Ein weiteres Anzeichen ist das Trinken trotz erkennbarer Risiken, zum Beispiel beim Bedienen von Maschinen, bei Gewaltausbrüchen oder in Situationen, in denen gesundheitliche Gefährdungen vorliegen. Auch das Trinken bis zum „Filmriss“ oder eine Inhaftierung zur Ausnüchterung sind klare Indizien. Besonders typisch ist es, wenn nach den ersten Gläsern ein unbezwingbarer Drang entsteht, weiterzutrinken, bis es physisch nicht mehr möglich ist.
Körperliche Entzugssymptome
Die körperliche Abhängigkeit von Alkohol äußert sich durch eine Vielzahl von Entzugssymptomen, die auftreten, wenn der Konsum reduziert oder eingestellt wird. Dabei können viele dieser Symptome auch durch andere Faktoren ausgelöst werden, weshalb eine genaue ärztliche Abklärung notwendig ist. Ausgebildete Fachkräfte können den Schweregrad und die Häufigkeit der Symptome bewerten, um eine fundierte Diagnose zu stellen.
Typische Entzugssymptome können sein:
- Unruhe
- Angstzustände
- Reizbarkeit
- Schreckhaftigkeit
- Depressive Stimmung
- Übelkeit
- Erbrechen
- Schlafstörungen
- Pulsbeschleunigung
- Vermehrtes Schwitzen
- Erhöhter Blutdruck
- Zittern von Händen, Augenlidern oder Zunge
- Desorientiertheit
- Halluzinationen
Körperliche Entzugs-Symptome sind ein starkes Indiz bei der für die Diagnose von Alkoholabhängigkeit. Besonders kritisch wird es, wenn der Betroffene Entzugssymptome durch weitere Alkoholaufnahme oder Medikamente lindert, etwa durch morgendliches Trinken, um Zittern oder Übelkeit zu bekämpfen.
Toleranzentwicklung
Die Toleranzentwicklung beschreibt den Prozess, bei dem zunehmend höhere Mengen Alkohol erforderlich sind, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Dies bedeutet, dass die Auswirkungen des Alkohols – wie Rausch oder Enthemmung – bei gleichbleibenden Mengen immer schwächer wahrgenommen werden. Dadurch verspüren Betroffene häufig den Drang, die konsumierte Menge zu erhöhen, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Diese Erhöhung der Trinkmenge kann zu einer erheblichen Steigerung des täglichen Alkoholkonsums führen.
Typische Anzeichen einer Toleranzentwicklung sind:
- Erhöhter Konsum: Gelegentlich werden bei Männern mehr als 240 g (ca. 6 Liter Bier oder 2,3 Liter Wein) und bei Frauen mehr als 160 g (ca. 4 Liter Bier oder 1,5 Liter Wein) Reinalkohol konsumiert.
- Keine sichtbaren Auswirkungen: Selbst bei einem Blutalkoholspiegel von mehr als 1,5 Promille treten kaum spürbare physische oder psycho-soziale Folgen auf. Die Alkoholisierung wird von der Umgebung kaum wahrgenommen.
- Regelmäßiger Konsum: Nahezu täglich werden hohe Mengen Alkohol konsumiert – etwa 120 g Reinalkohol bei Männern (ca. 3 Liter Bier oder 1,2 Liter Wein) und 80 g bei Frauen (ca. 2 Liter Bier oder 0,8 Liter Wein).
Die Toleranzentwicklung führt dazu, dass Betroffene den Konsum oft unbewusst weiter steigern, was das Risiko für gesundheitliche Schäden und soziale Probleme erhöht. Das Erkennen einer vorhandenen Alkohol-Toleranz ist deshalb ein wichtiger Aspekt für die Diagnose von Alkoholabhängigkeit.
Vernachlässigung oder Versagen bei anderen Interessen und Verpflichtungen
Ein deutliches Anzeichen für eine Alkoholabhängigkeit ist, wenn der Konsum von Alkohol zunehmend Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht, sodass andere Interessen und Pflichten vernachlässigt werden. Dies betrifft sowohl den direkten Konsum als auch die Zeit, die für die Beschaffung von Alkohol oder die Erholung von dessen Folgen aufgewendet wird.
Ein Betroffener beginnt möglicherweise, Hobbys aufzugeben, Treffen mit Freunden zu meiden oder sich von sozialen Aktivitäten zurückzuziehen. Ebenso kann es sein, dass häusliche Pflichten, berufliche Aufgaben oder schulische Verpflichtungen nicht mehr erfüllt werden. Mangelnde Leistungen am Arbeitsplatz, wiederholte Ermahnungen oder sogar Fehlzeiten sind häufige Konsequenzen. In schweren Fällen können strafrechtliche Auffälligkeiten wie Diebstahl auftreten, wenn versucht wird, den Alkoholkonsum zu finanzieren.
Die zunehmende Vernachlässigung von Interessen und Verpflichtungen ist ein starkes Warnsignal für eine fortschreitende Abhängigkeit, die oft schwerwiegende soziale und berufliche Konsequenzen mit sich bringt.
Fortsetzung des Konsums trotz eindeutiger und überdauernder schädlicher Folgen
Fortsetzung des Konsums trotz eindeutiger und überdauernder schädlicher Folgen
Ein charakteristisches Merkmal einer fortgeschrittenen Alkoholabhängigkeit ist, dass Betroffene ihren Alkoholkonsum fortsetzen, obwohl sie sich der schwerwiegenden körperlichen, psychischen oder sozialen Probleme bewusst sind, die durch den Alkohol verursacht oder verschlimmert werden.
Soziale und zwischenmenschliche Probleme zeigen sich oft darin, dass Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen kritische Kommentare äußern. Heimliches Trinken oder das Anlegen von versteckten Alkoholvorräten sind typische Verhaltensweisen, die auf solche Schwierigkeiten hinweisen.
Körperliche Probleme treten häufig auf, wenn medizinisches Fachpersonal einen strikten Alkoholverzicht empfiehlt. Zu den schweren alkoholbedingten Erkrankungen gehören:
- Alkoholbedingte Halluzinationen, auch bei Alkohol-Entzug
- Paranoia
- Tremor (Zittern)
- Krampfanfälle bei Alkohol-Entzug
- Delir
- Polyneuropathie (d.h. gestörte Reiz-Weiterleitung der Nerven; dies kann sich bsp. äußern in Sensibilitätsstörungen, Missempfindungen, Taubheitsgefühlen, Kribbeln, Hitze-, Kälte-, Schwellungsgefühlen, Koordinationsstörungen, Lähmungen, etc.)
- Entzündungen der Bauchspeicheldrüse
- Herzmuskelerkrankungen
- Leberschädigung (z.B. Fettleber, Zirrhose, Hepatitis)
- Schädigungen des Gehirns, Demenz
- Depressionen
- Persönlichkeitsveränderungen
Die Fortsetzung des Alkoholkonsums trotz dieser deutlichen Warnzeichen zeigt, wie tief verwurzelt die Abhängigkeit ist und wie schwer es den Betroffenen fällt, das Verhalten zu ändern. Ein solches Verhalten ist deshalb ein Indikator für die Diagnose von Alkoholabhängigkeit.
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