Je nach Tiefe der individuellen Rausch- und Suchtmittel-Problematik kann es für den Klienten notwendig sein, eine Abstinenz über einen mehrmonatigen Zeitraum nachzuweisen, um eine stabile Änderung der eigenen Verhaltensmuster zu belegen. Die Planung von Abstinenznachweisen ist strategisch wichtig, denn üblicherweise erstrecken sich diese Abstinenznachweise über 6 bis 15 Monate.
Die Länge des Abstinenznachweis-Zeitraumes, der notwendig ist, damit der Gutachter bei der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) eine positive Prognose stellen kann, ergibt sich aus der Beurteilung der Problematik durch den Gutachter selbst. Letztendlich bildet sich also erst in der Begutachtung der Gutachter eine Meinung zur Problemtiefe des Klienten und leitet daraus ab, über welchen Zeitraum der Klient eine stabile Abstinenz zu belegen hat, um zu einer positiven Prognose zu gelangen.
Dies bedeutet, dass im Vorfeld der MPU weder der Klient, noch ein MPU-Berater, Psychologe oder Therapeut mit Sicherheit wissen kann, welcher Abstinenzzeitraum durch den Gutachter gefordert werden wird. Kein Berater oder Therapeut unterbreitet dem MPU-Gutachter einen Vorschlag zur Abstinenzdauer oder gibt dem Gutachter diesen Zeitraum vor. Die Beurteilungskriterien für die Fahreignungsbegutachtung (BuK) fordern eindeutig, dass Interessenskonflikte zwischen Therapeuten oder Beratern einerseits, sowie begutachtenden Stellen andererseits ausgeschlossen sein müssen. Schon allein deshalb kann ein beratender Psychologe nicht die Länge der Abstinenznachweise vorgeben! Der MPU-Gutachter ist unabhängig und nicht an irgendwelche Vorgaben eines Therapeuten hinsichtlich des Klienten gebunden.
Dessen ungeachtet ist es Ziel einer sorgfältigen Vorbereitung auf die MPU, und damit auch Ziel einer guten MPU-Beratung, dass der Betroffene sich selbst und die Tiefe seiner Rauschmittelproblematik richtig einschätzt. Daraus kann der Klient, ggf. mit Hilfe seines MPU-Beraters, realistisch abschätzen, ob und welche Abstinenzzeiten der Gutachter fordern wird.
Wenn die voraussichtlich benötigte Dauer der Abstinenznachweise festgelegt ist, beginnt die Planung mit dem Zeitpunkt, ab dem voraussichtlich keine kritischen Substanzen oder deren Abbauprodukte mehr im Körper sind. Dieser Startpunkt ist abhängig vom Rauschmittel selbst und von der Intensität des bisherigen Konsums. Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) und seine Abbauprodukte (vorwiegend THC-Carbonsäure, THC-COOH) sind bsp. zwischen wenigen Wochen und bis zu 3 Monaten nach Abstinenzbeginn nachweisbar. Alkohol-Abstinenznachweise können i.d.R. schon nach 2-3 Wochen begonnen werden, wobei der Alkohol-Metabolit Ethylglucuronid (EtG) allerdings bei chronisch-exzessivem Konsum sogar bis zu 6 Monate nach Abstinenz-Beginn noch in den Haaren nachweisbar sein kann.
Ist der Köper Substanz-frei, kann mit einem Abstinenznachweisprogramm auf Basis von Urin-Kontrollen begonnen werden. Urin-Kontrollen belegen die Abstinenz während des Kontrollprogramms. Hierzu wird ein Proband kurzfristig (innerhalb 24 h) unvorhersehbar einberufen und muss die Probe unter Sicht abgeben. Kommt man der Einberufung nicht nach, führt dies ggf. zum Abbruch des Kontrollprogramms.
Haaranalysen bieten den Vorteil, dass der Termin der Probenabgabe gut planbar ist. Zudem kann man mit der Haaranalyse die Abstinenz in der Vergangenheit belegen, bei EtG-Analysen bis zu 3 Monaten, bei anderen Stoffen bis zu 6 Monaten. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass es nochmals etwa 9-14 Tage braucht, bis noch kontaminierte Haarsegmente aus der Kopfhaut herausgewachsen sind und dass sich Haare in verschiedenen Stadien ihres Wachstumszyklus befinden, d.h. ein gewisser Anteil an Haaren wächst nicht mehr und kann Segmente einer Haarprobe, die eigentlich substanzfrei sein sollten, noch kontaminieren. In Abhängigkeit vom früheren Konsumverhalten sollte deshalb ein Puffer von bis zu 2-3 Monaten zusätzlich zum Zeitraum bis zur vollständigen Eliminierung der Fremdstoffe oder deren Abbauprodukte aus dem Körper eingeplant werden.
Sofern in der MPU Abstinenznachweise beigebracht werden sollen, müssen die Abschlussberichte der Abstinenznachweisprogramme bzw. die Ergebnisse von Haaranalysen vorhanden sein, und die Nachweiszeiten sollten zeitnah zur Untersuchung liegen, d.h. nicht älter als 3 Monate, in gut begründeten Ausnahmefällen nicht älter als 4 Monate. Ergibt sich z.B. aus organisatorischen Gründen eine längere Lücke zwischen dem absolvierten Abstinenzprogramm und der MPU, so kann diese Lücke gefüllt werden durch:
- 3 Urinkontrollen (oder Blutkontrollen bei PEth-Bestimmungen) innerhalb von 4 Monaten vor der MPU; oder
- Untersuchung eines kopfhautnahen Haarsegments von 3 cm Länge zeitnah vor der Begutachtung.
Soll ein längerer Abstinenzzeitraum über eine Folge von Haaranalysen erfolgen, so sollen die einzelnen Nachweiszeiträume möglichst lückenlos aufeinander folgen. Eine Lücke in den Nachweiszeiträumen von bis zu 2 Wochen ist noch akzeptabel. Die letzte Probennahme hat entsprechend i.d.R. ebenfalls innerhalb der letzten 2 Wochen vor Ende des geplanten Zeitraums zu erfolgen.
Somit ergibt sich der frühestmögliche Zeitpunkt für die MPU aus:
- Dem Zeitraum bis zur Substanzfreiheit des Körpers;
- Bei Haaranalyse: Dem Puffer zur Berücksichtigung der Haar-Stadien;
- Der Dauer des Abstinenznachweisprogramms bzw. dem Abstinenznachweiszeitraum durch Haaranalysen;
- Der Wartezeit bis zur MPU.
Diese Zeitspanne von der Abstinenz bis zur MPU sollte intensiv zur Aufarbeitung der eigenen Problematik und der Vorbereitung auf die Begutachtung genutzt werden.
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